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Seele! Sich beim Betrachten des Himmels zulächeln, unter dem
feuchten Laubwerk harmlose Worte in die Gesänge der Vögel
mischen, langsamen Schrittes beim Klange der Glocke, die einen
zu früh zurückruft, nach Hause gehen, eine Einzelheit der
Landschaft gemeinsam bewundern, die Launen eines Insekts
verfolgen, eine Goldfliege beobachten, ein zerbrechliches
Geschöpf auf der Hand eines geliebten und reinen jungen
Mädchens, heißt das nicht, täglich dem Himmel ein wenig
näherkommen? Für mich enthalten diese vierzig Tage des Glücks
Erinnerungen, die einem ganzen Leben Farbe verleihen,
Erinnerungen, die um so schöner und größer sind, als ich seitdem
niemals verstanden werden sollte. Heute haben mich jene
anscheinend einfachen Bilder, welche für ein gebrochenes Herz
aber voller bitterer Bedeutungen sind, an eine entschwundene,
doch nicht vergessene Liebe erinnert. Ich weiß nicht, ob Sie die
Wirkung der untergehenden Sonne auf der Hütte des kleinen
Jacques bemerkt haben? Einen Moment haben die Feuer der
Sonne die Natur erstrahlen lassen, dann plötzlich ist die
Landschaft düster und schwerer geworden. Diese beiden so
verschiedenen Anblicke stellten für mich ein treues Gemälde
dieser Periode meiner Geschichte dar. Mein Herr, ich erhielt von
ihr den ersten, einzigen und köstlichen Beweis, den ein
unschuldiges junges Mädchen erlaubterweise geben darf, und der,
je verstohlener er ist, desto mehr verpflichtet: ein süßes
Liebesversprechen, eine Erinnerung an die in einer besseren Welt
gesprochene Sprache! Nunmehr gewiß, geliebt zu werden, schwur
ich, alles zu sagen, kein Geheimnis vor ihr zu haben, und ich
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schämte mich, es so lange hinausgezögert zu haben, ihr von den
Schmerzen, die ich mir geschaffen hatte, zu erzählen.
Unglücklicherweise ließ mich am Morgen nach diesem
glückseligen Tage ein Brief des Lehrers meines Sohnes für ein
Leben zittern, das mir so teuer war. Ich reiste ab, ohne Évelina
mein Geheimnis zu sagen, ohne der Familie einen anderen Grund
als eine wichtige Angelegenheit anzugeben. In meiner
Abwesenheit wurden die Eltern unruhig. Da sie fürchteten, ich
könnte irgendein Liebesverhältnis haben, schrieben sie nach Paris,
um Erkundigungen über mich einzuziehen. Entgegen ihren
religiösen Grundsätzen zweifelten sie an mir, ohne mir die
Möglichkeit zu geben, ihren Verdacht zu zerstreuen. Einer ihrer
Freunde unterrichtete sie ohne mein Wissen über meine
Jugenderlebnisse, vergröberte meine Fehler, und machte sie
besonders auf die Existenz meines Kindes aufmerksam, das ich,
wie er sagte, absichtlich verborgen halte. Als ich meinen
zukünftigen Eltern schrieb, erhielt ich keinerlei Antwort. Sie
kehrten nach Paris zurück, ich machte Besuch bei ihnen und
wurde nicht empfangen. Beunruhigt, schickte ich meinen alten
Freund hin, um die Gründe eines Benehmens zu erfahren, das ich
mir nicht erklären konnte. Als er die Ursache erfuhr, opferte der
gute Greis sich in edler Weise auf: er übernahm die
Verantwortung für mein unverantwortliches Schweigen, wollte
mich rechtfertigen und konnte nichts erreichen. Die Gründe des
Interesses und der Moral wogen zu schwer für diese Familie, ihre
Vorurteile wurzelten zu tief, als daß sie ihren Entschluß hätte
ändern können. Ich war in grenzenloser Verzweiflung. Anfangs
versuchte ich den Sturm zu beschwören; meine Briefe wurden
aber uneröffnet zurückgeschickt. Als alle menschlichen Mittel
erschöpft worden waren, als Vater und Mutter dem Alten, dem
Urheber meines Unglücks, erklärt hatten, daß sie sich ewig
weigern würden, ihre Tochter einem Manne zu geben, der sich
den Tod einer Frau und das Leben eines natürlichen Kindes
vorzuwerfen hätte, selbst wenn Évelina sie auf den Knien
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anflehen würde, da, mein Herr, blieb mir nur noch eine einzige
Hoffnung, die schwach war wie ein Weidenzweig, an den sich ein
Unglücklicher, der ertrinkt, anklammert. Ich wagte zu glauben,
daß Évelinas Liebe stärker als die väterlichen Entschlüsse sei, und
daß sie die Unbeugsamkeit ihrer Eltern besiegen werde. Ihr Vater
konnte ihr die Gründe der Abweisung, die unsere Liebe tötete,
verborgen haben, ich wollte, daß sie mein Los in Kenntnis der
Sachlage entscheide, ich schrieb ihr. Ach!, mein Herr, unter
Tränen und Schmerz, nicht ohne Augenblicke grausamen
Zögerns, schrieb ich den einzigen Liebesbrief, den ich jemals
geschrieben habe. Heute weiß ich nur noch undeutlich, was mir
die Verzweiflung diktierte; zweifelsohne sagte ich meiner
Évelina, daß sie, wenn sie wahr und aufrichtig gewesen sei, immer
nur mich lieben könne und müsse. Wäre ihr Leben nicht verfehlt,
wäre sie nicht dazu verurteilt, ihren künftigen Gatten oder mich zu
belügen, würde sie nicht des Weibes Tugenden verraten, wenn sie
ihrem verkannten Geliebten dieselbe Aufopferung verweigerte,
die sie für ihn aufgewendet haben würde, wenn die in unserem
Herzen vollzogene Heirat feierlich begangen worden wäre? und
welche Frau würde sich nicht lieber durch die Versprechungen des
Herzens als durch die Ketten des Gesetzes gebunden fühlen? Ich
rechtfertigte meine Fehler, indem ich mich auf alle Reinheiten der
Unschuld berief, ohne etwas zu vergessen, was eine vornehme
und edelmütige Seele zu rühren vermochte ... Da ich Ihnen alles
gestehe, will ich Ihnen die Antwort und meinen letzten Brief
holen,« sagte Benassis und ging hinaus und in sein Zimmer
hinauf. Er kehrte bald zurück und hielt eine abgenutzte
Brieftasche in der Hand, der er nicht ohne tiefe Bewegung
ungeordnete Papiere entnahm, die in seinen Händen zitterten.
»Hier ist der verhängnisvolle Brief,« sagte er. »Das Kind, das
diese Buchstaben schrieb, wußte nicht, wie wichtig mir das
Papier, das seine Gedanken enthält, sein würde ... Hier«, fuhr er,
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